Jubiläum eines deutschen Formholzklassikers: Egon Eiermanns Stuhl SE 43 wird 75.

Vom 3. Dezember 1949 bis zum 31. Januar 1950 fand im Stuttgarter Landesgewerbemuseum die Ausstellung „Wie Wohnen?“ statt. Die Schau ist bis heute ein wichtiger Meilenstein der Deutschen Designgeschichte und markiert den Neubeginn des Möbeldesigns in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Egon Eiermann entwarf für die Ausstellung eine prototypische Vierzimmerwohnung einschließlich der Möblierung. Das Unternehmen Wilde + Spieth fertigte die Möbel nach seinen Entwürfen zunächst als Einzelstücke für die Ausstellung. Darunter auch jenen Formholzstuhl, den wir heute unter der Bezeichnung SE 42 kennen.

Der Stuhl setzt sich zusammen aus fünf Bauteilen aus formverleimtem Buchenschichtholz, die mit Schraubverbindungen zusammengehalten werden. Dabei sind zwischen die Formholzteile Gummischeiben gefügt, die als Abstandshalter und Stoßdämpfer fungieren. Die beiden vorderen Beine des Stuhls werden gebildet von einem einzigen Formholzteil in umgekehrter U-Form. Ihr mittlerer Teil verläuft dabei knapp unterhalb der Sitzfläche, parallel zu deren Vorderkante. Mittig schließt dort ein weiteres Teil an, das zunächst unterhalb der Sitzfläche nach hinten verläuft, um dann nach unten abzuknicken, wo es das einzige Hinterbein des dreibeinigen Stuhls bildet. Ein ähnlich geformtes Teil verläuft knapp oberhalb davon zunächst parallel, biegt dann jedoch nicht nach unten, sondern nach oben ab um dort die Rückenlehne aufzunehmen. Gemeinsam bilden drei erstgenannten Teile das Gestell des Stuhls. Zwei weitere Formholzteile bilden Sitzfläche und Rückenlehne mit ergonomisch angenehmen, leichten Rundungen. In der klassischen Variante ist das Gestell schwarz gebeizt, während Sitzfläche und Rückenlehne die naturbelassene Färbung und Maserung des Buchenholzes zeigen. Verfügbar sind jedoch auch zahlreiche andere Farbvarianten und -kombinationen, bis hin zu Anfertigungen auf Wunsch.

Formverleimte Sperrholzteile wurden in den USA schon ab 1940 industriell gefertigt. Die Entwicklung dieser Technik wurde maßgeblich von Charles und Ray Eames vorangetrieben – zunächst zur Herstellung schwingungsdämpfender Beinschienen im Auftrag des US-Militärs, später beim Unternehmen Hermann Miller für die Möbelfertigung. Naheliegend ist die Vermutung, dass ihr 1946 vorgestellter Stuhl DCW Egon Eiermann bei seinem Entwurf inspirierte. Auch der Hersteller Wilde + Spieth hatte bereits vor der 1949 aufgenommenen Zusammenarbeit mit dem Architekten einige Bürostühle aus formverleimtem Schichtholz im Programm.

Der ursprünglich noch unter der Bezeichnung SE 3 angebotene Stuhl SE 42 entwickelte sich nicht nur zu einem Erfolg für Wilde + Spieth, sondern auch zu einem Klassiker des deutschen Möbeldesigns. Später wurde die Produktfamilie um mehrere Modelle erweitert, darunter auch der bekannte Stuhl SE 68. Von einem konstruktionsbedingten Vorteil des SE 42 machte Wilde + Spieth jedoch nur für kurze Zeit gebraucht: In den Jahren 1953 und 1954 wurde der Stuhl in flachen Paketen, zerlegt in seine Einzelteile, zur Selbstmontage verkauft.

Egon Eiermann zählt zu den bedeutendsten Architekten und Designern der deutschen Nachkriegsmoderne. Insbesondere prägte er den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu seinen bekanntesten Gebäudeentwürfen zählt die Neckermann-Zentrale in Frankfurt, die Gedächtniskirche in Berlin und das Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ in Bonn. Als Möbeldesigner entwarf er neben den Formholzmöbeln für Wilde + Spieth unter anderem auch den bekannten Korbsessel E10 und einen insbesondere in Architekturbüros beliebten Schreibtisch. Egon Eiermann lehrte als Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe (heute: KIT). Er starb 1970 in Baden-Baden.

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