Egon Eiermann wurde 1904 im brandenburgischen Neuendorf geboren, das heute zum Potsdamer Stadtteil Babelsberg gehört. Er studierte von 1923 bis 1927 an der Technischen Hochschule Berlin bei Hans Poelzig Architektur und arbeitete anschließend für die Rudolph Karstadt AG in Hamburg sowie für die Berliner Elektrizitätswerke. 1931 gründete er gemeinsam mit Fritz Jaenecke ein Architekturbüro in Berlin, das zunächst hauptsächlich Wohnhäuser entwarf. Nachdem Jaenecke das Büro 1934 aufgrund von persönlichen Differenzen mit Eiermann verließ, entwarf Eiermann zunehmend auch Geschäftshäuser und Industriebauten. Eiermanns Fokussierung auf Industriebauten erlaubte es ihm, im Dritten Reich weiterhin de facto in modernem Stil zu bauen ohne in Konflikte mit dem Naziregime zu geraten. Denn trotz ihrer sonstigen Ablehnung der Moderne, sahen die Nationalsozialisten moderne Architektur unter der Bezeichnung „technokratischer Stil“ für Industrie- und Wehrbauten als angemessen an.
Egon Eiermann – Architekt der Moderne in der jungen BRD
Nach dem Krieg gelang es Egon Eiermann, der ab 1946 in Mosbach im Odenwald ansässig war, seine Karriere nahtlos fortzusetzen. Seine Stahlskelettbauten wie die 1951 fertiggestellte Taschentuchweberei in Blumberg bei Donaueschingen nahmen Vorbildcharakter für den Wiederaufbau an. Die ebenfalls von Egon Eiermann entworfene Matthäuskirche in Pforzheim verwendet ein Stahlbetonskelett, wobei die Wandflächen mit Wabenfenstern und Glasbausteinen aus Trümmerschutt ausgefacht wurden. In der Folge erhielt Eiermann zahlreiche hochrangige Aufträge, so entwarf er gemeinsam mit Sep Ruf den deutschen Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel. Für Olivetti entwarf er ein 1972 fertiggestelltes Verwaltungsgebäude in Frankfurt-Niederrad, das sich durch zwei charakteristische Bürotürme auszeichnet. Die Türme erhalten ihr typisches pilzartiges Erscheinungsbild dadurch, dass sie trichterförmig aus einem schlanken zentralen Betonschaft erwachsen.
Mit einem weiteren Entwurf prägte Egon Eiermann zahlreiche deutsche Innenstädte: Bei der sogenannte Hortenkachel, die er um 1960 für die Kaufhauskette Horten entwickelte, handelt es sich um ein Fassadenelement, das in der Folge zur Verkleidung zahlreicher Horten-Filialen eingesetzt wurde. Die Form der Kachel greift dabei ein Türdrückermotiv auf, das Helmut Rhode zuvor für die Hauptverwaltung von Horten entworfen hatte und das den Buchstaben „H“ in stilisierter Weise darstellt. Fensterlose, mit einer Vielzahl von gleichförmigen Elementen verkleidete Fassaden eignen sich in besonderer Weise für Kaufhäuser, weil dann bei der Inneneinrichtung keine Rücksicht auf die Fassadengliederung genommen werden muss, und Fensterflächen in den Obergeschossen meist ohnehin unerwünscht sind. Ein Vorgänger der durch die Hortenkachel gebildeten, sogenannten Kettenhemdfassaden war dabei Marcel Breuers Rotterdamer Filiale der Warenhauskette De Bijenkorf. Sie verwendet in den Obergeschossen eine durch ein Wabenmuster gegliederte Fassade, die nur eine sparsame, schießschartenartige Durchfensterung aufweist.
Die wohl bekanntesten Bauten nach Entwürfen Egon Eiermanns sind wohl das als Langer Eugen bekannte Abgeordnetenhaus, das 1969 in Bonn fertiggestellt wurde und heute als UN-Campus dient, sowie die Gedächtniskirche in Berlin. Bei diesem Wiederaufbauprojekt einer im Krieg weitgehend zerstörten Kirche aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, ließ Eiermann den als Ruine vorhandenen alten Turm entsprechend sichern, um ihn als Mahnmal zu erhalten. Als eigentlicher Kirchenraum dient ein Neubau nach Plänen von Egon Eiermann; ein Campanile und eine Kapelle ergänzen das Ensemble. Charakteristisches Merkmal sind die eng gerasterten Wandflächen, die mehr 20.000 Fenster des französischen Glaskünstlers Gabriel Loire aufweisen. Auch die Möblierung ist interessant, denn Egon Eiermann entwarf sie als Teil des Gesamtkonzepts selbst.
Designklassiker der deutschen Nachkriegszeit von Egon Eiermann
Als Designer prägte Egon Eiermann die Zweite Moderne in Deutschland. Sein Werk umfasst Klassiker wie den Rattansessel E 10, der erstmals 1949 bei der Ausstellung „Wie Wohnen“ in Karlsruhe vorgestellt wurde. 1953 entwarf er das Tischgestell Eiermann 1, das durch seine charakteristischen Kreuzstreben bei geringem Materialeinsatz eine hohe Steifigkeit erzielt. Diese Designklassiker werden heute von Richard Lampert hergestellt. Zu wahren Ikonen wurden sein Stahlrohrstuhl SE 68, sowie der Hocker S 38, die er für Wilde + Spieth entwarf. Für das Bestattungsunternehmen Grieneisen, für das er vor dem Zweiten Weltkrieg bereits als Architekt tätig war, entwarf Egon Eiermann in den 1960er Jahren Särge für spezielle Anforderungen, etwa für Überführungen per Flugzeug.
Ab 1947 lehrte Egon Eiermann als Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe und prägte über Jahrzehnte das Profil der dortigen Architekturfakultät. Dort war Oswald Mathias Ungers einer seiner Studenten. Eiermann erhielt 1968 das große Bundesverdienstkreuz. Im gleichen Jahr wurde er mit dem großen Preis des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet. 1970 wurde er Mitglied des Ordens Pour la Mérite. Im gleichen Jahr starb er in Baden-Baden.