Gunta Stölzl wurde 1897 in München geboren und schrieb sich nach Abschluss der Höheren Töchterschule im Jahr 1914 zunächst an der Münchner Kunstgewerbeschule ein, wo Richard Riemerschmid zu ihren Lehrern zählte. Ein Malereistudium an der Kunstakademie stand Frauen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht offen. In den Jahren 1917 und 1918 war Gunta Stölzl als Rotkreuzschwester im Ersten Weltkrieg im Einsatz. Nach dem Krieg schrieb sie sich beim gerade gegründeten Bauhaus als Studentin ein. Anders als zuvor üblich, wurde die Trennung zwischen Kunst und Kunstgewerbe dort aufgelöst, und auch Frauen waren zum Studium zugelassen.
Die Meisterin am Bauhaus
Am Bauhaus zählte Gunta Stölzl zu den engagiertesten Studentinnen. Noch bevor sie im Wintersemester 1922/23 die Gesellenprüfung ablegte, prägte sie die Arbeit der Bauhaus-Weberei bereits maßgeblich. So entwarf sie in dieser Zeit Stoffe für Möbelentwürfe von Marcel Breuer sowie das von Walter Gropius entworfene Haus Sommerfeld. Nach ihrer Gesellenprüfung verließ Gunta Stölzl das Bauhaus für kurze Zeit. Im Jahr 1924 belegte sie mehrere Kurse an der Fachschule für Textil-Industrie in Krefeld – die Stadt am Niederrhein ist schon seit dem 18. Jahrhundert ein Zentrum der Weberei. Im selben Jahr richtete sie für den aus Zürich stammenden Bauhaus-Meister Johannes Itten die Ontos Werkstätten für Handweberei in Herrliberg nahe dessen Heimatstadt ein. 1925 kehrte Gunta Stölzl als Werkmeisterin der Webereiwerkstatt zurück ans Bauhaus. Als der Werkstattleiter Georg Muche das Bauhaus im Jahr 1927 verließ, übernahm sie die Leitung der Werkstatt.
Stölzl wirkte auf eine zunehmende Industrialisierung des Webprozesses hin. Als Werkmeisterin entwickelte sie Stoffe, die eine ästhetische Gestaltung mit hervorragender Funktionalität und effizienter Fertigung verknüpften. In dieser Zeit experimentierte an der Bauhaus-Weberei auch die Schülerin Margaretha Reichardt mit Eisengarn. Es gelang ihr, die Eigenschaften dieses besonders strapazierfähige Baumwollgarns, das – anders als der Name vermuten lässt – kein Eisen enthält, noch zu verbessern und fertigte daraus unter Anderem Gurte, die etwa für die Armlehnen des von Marcel Breuer entworfenen Faltsessels eingesetzt wurden. Parallel dazu baute Gunta Stölzl zahlreiche Kontakte zu Firmenkunden auf, die Stoffe von der Bauhaus-Weberei bezogen. Es war ihr Verdienst, dass die Weberei – übrigens als einzige Bauhaus-Werkstatt – wirtschaftlich profitabel war.
1929 heiratete Gunta Stölzl den aus Österreich-Ungarn stammenden Bauhausschüler Arieh Sharon; im selben Jahr kam die gemeinsame Tochter Yael zur Welt. Als Jude musste Sharon Deutschland schon bald wieder verlassen und auch Gunta Stölzl hatte durch die Heirat mit ihm ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Sharon emigrierte 1931 nach Palästina. Mit Ausrufung des Staates Israel im Jahr 1948 wurde er dort zum Leiter der staatlichen Planungsbehörde und zur prägenden Figur des Städtebaus und der Architektur in Israel. Die Beziehung zwischen ihm und Gunta Stölzl zerbrach jedoch schon nach kurzer Zeit. Zeitgleich mit Sharon verließ auch Stölzl das Land. Als Staatenlose fand sie gemeinsam mit Tochter Yael in der Schweiz Unterschlupf. Die Ehe mit Arieh Sharon wurde 1936 geschieden.
Gemeinsam mit den Bauhausschülern Gertrud Preiswerk und Heinrich-Otto Hürlimann gründete Gunta Stölzl, die nun den Nachnamen Sharon führte, im Jahr 1932 die Handweberei S-P-H-Stoffe in Zürich. Dort führte sie ihre in der Bauhaus-Weberei begonnene Arbeit nahtlos weiter und stellte hochwertige und gestalterisch anspruchsvolle Gebrauchsstoffe her, für die sich reichlich Abnehmer fanden. Im selben Jahr wurde sie Mitglied im Schweizer Werkbund. In der Folgezeit schieden zunächst Gertrud Preiswerk und dann Heinrich-Otto Hürlimann aus der Firma aus. Ab 1937 führt Gunta Sharon die Weberei unter dem Namen Sh-Stoffe (Sharon + Co.) alleine weiter. Im selben Jahr beteiligte sie sich außerdem an der Pariser Weltausstellung Exposition Internationale des Arts et des Techniques, wo sie für ihre Arbeiten mit dem Diplôme Commémoratif geehrt wurde. 1939 beteiligte sie sich an der Schweizer Landesausstellung (kurz: Landi), die uns heute vor allem wegen des aus diesem Anlass entstandenen Landi-Stuhls von Hans Coray im Gedächtnis ist.
1942 heiratete Gunta Sharon den Schweizer Schriftsteller Willy Stadler. Erst durch diese Heirat wurde sie zur Schweizer Staatsbürgerin. Im Folgejahr kam die gemeinsame Tochter Monika Agnes zur Welt. Ihre Weberei führte Gunta Stadler-Stölzl noch bis 1967 weiter. Parallel widmete sie sich aber bereits ab den 1950er Jahren verstärkt der Fertigung frei gestalteter Gobelins. Diese Tätigkeit hielt Sie auch nach Schließung der Weberei weiter bei. Auch an der Ausstellung 50 Jahre Bauhaus im Jahr 1968 nahm sie teil. Gunta Stadler-Stölzl starb 1983 in Männedorf bei Zürich.