Ein Meisterwerk der Moderne mitten in der Prärie: Das Miller House

Der Bauherr Joseph Irwin Miller führte als Vorstandsvorsitzender der Cummins Motorenwerke das von seinem Onkel mitbegründete Unternehmen zu großem Erfolg. Außerdem war er an der Gründung des ökumenischen Kirchenrats NCC beteiligt und setzte sich für die Bürgerrechtsbewegung ein. Darüber hinaus machte sich Miller einen Namen als Architekturmäzen. Die von ihm ins Leben gerufene Cummins Foundation zahlte die Architektenhonorare für alle in Columbus, Indiana entstehenden öffentlichen Bauten. Zur Bedingung machte die Stiftung dabei, dass die Aufträge an namhafte Architekten der Moderne gehen. Heute finden sich in Columbus unter anderem Gebäude von Eero Saarinen, Eliel Saarinen (der Vater von Eero Saarinen), I.M. Pei, Richard Meier, Kevin Roche und Skidmore, Owings & Merrill, was dem weniger als 50.000 Einwohner zählenden Städtchen den Spitznamen „Athens on the Prairie“ eingebracht hat.

Bei seinen privaten Bauvorhaben beauftragte J. Irwin Miller mit Vorliebe Eero Saarinen, mit dem er persönlich befreundet war. Nachdem Saarinen bereits ein Ferienhaus in Ontario für Miller und seine Frau Xenia Simons Miller entworfen hatte, beauftragte das Ehepaar den Architekten 1953 auch mit der Planung ihrer Villa in Columbus, die vier Jahre später fertiggestellt wurde.

Typologisch handelt es sich beim Miller House um einen Bungalow, also eine eingeschossige Villa, die in hohem Maße eine Einheit mit dem umgebenden Garten und der Landschaft eingeht. Gleichzeitig ist der fließende Übergang von Innen- und Außenraum auch ein typisches Merkmal der Moderne. Auch mit seinem von schlanken Stahlpfeilern getragenen Flachdach, großen Glasflächen und dem offenen, freien Grundriss, weist sich das Miller House als Kind der Moderne aus. Mit einer Wohnfläche von rund 635 Quadratmetern zählt es zu den kleinsten von Saarinen geplanten Bauten. Tageslicht erhält es nicht nur von den Seiten, sondern auch durch zahlreiche rasterförmig angeordnete Oberlichter, die im Zusammenspiel mit den Stahlpfeilern für reizvolle Schattenwürfe sorgen. Der Einsatz von Natursteinwänden lässt an Mies van der Rohes Barcelona Pavillon denken. Die Grundrissfigur hingegen hat ihre Wurzeln in der Renaissance: Wie bei Andrea Palladios Villa Rotonda ordnete Saarinen vier private Bereiche um einen zentralen Raum an. Eine axiale Ordnung oder eine Hierarchisierung der Räume vermied er dabei jedoch.

Das Herzstück des zentralen Raumes bildet eine in den Boden eingelassene Sofaecke. Hierbei handelt es sich um ein frühes Beispiel dieses Gestaltungselement, für das es im Englischen die Bezeichnung „conversation pit“ gibt. Die Zeitschrift „House & Garden“ veröffentlichte 1959 zahlreiche von Ezra Stoller aufgenommener Photos des Miller House, die maßgeblich zur Popularisierung von conversation pits beitrugen und diesem Gestaltungselement bis in die 1970er Jahre hinein große Beliebtheit bescherten. Auch Saarinen selbst setzte 1962 im TWA Flight Center auf dem New Yorker Flughafen JFK wieder ein conversation pit ein.
Für die Inneneinrichtung arbeitete Saarinen mit Alexander Girard zusammen, der wohl auch die Anregung zum Einbau des conversation pit gab. Girard griff bei der Einrichtung auf Möbelentwürfe von Saarinen zurück, so finden sich in dem Haus unter anderem mehrere Tulip Chairs und der wohl größte Saarinen-Tisch der Welt. Darüber hinaus entwarf Girard zahlreiche Textilmuster für die verschiedenen Gardinen und Teppiche des Miller House und brachte auf diesem Wege Farbigkeit und Ornament in das ansonsten formal strenge Bauwerk. Girards Entwürfe beziehen dabei Wappen, Embleme, Initialen und sonstige Verweise auf die Geschichte und die Interessen der Familie Miller mit ein. Auch die von Girard entworfene „storage wall“ – ein weiteres Schlüsselelement des zentralen Raums – wurde gezielt auf die Bedürfnisse der Millers abgestimmt. Die rund 15 Meter lange Wand ist gefüllt mit verschiedenen Regalen, Schränkchen und Wandnischen und bietet somit sowohl offene als auch geschlossene Abstellmöglichkeiten. So konnten die Millers ihre Sammlung von Volkskunst aus Mexiko, Asien und Osteuropa besonders effektvoll in Szene setzen, während weniger dekorative Utensilien dezent in den Schränkchen verschwinden konnten. Ein Bedürfnis, das Girard nur zu vertraut gewesen sein dürfte, schließlich sammelte er selbst Kunstobjekte aus aller Welt.

Für die Planung des Gartens brachte Saarinen den Landschaftsarchitekten Dan Kiley ins Projekt, mit dem er zuvor bereits für den St. Louis Gateway Arch, das Wahrzeichen der Stadt am Mississippi, zusammengearbeitet hatte. Der Garten nimmt die innere Struktur des Hauses mit seinen vier Flügeln auf und setzt diese in Form von vier Gartenbereichen im Außenraum fort. Das rund 5,5 Hektar große Grundstück, das an den Flatrock River grenzt, ließ Kiley in weiten Teilen unberührt. Insbesondere die Weidelandschaft am Fluss blieb in ihrem naturgegebenen Zustand. Stattdessen konzentrierte Kiley seine Eingriffe auf die Bereiche rund um das Haus. Die Zufahrtsstraße wird von Kastanienbäumen flankiert; andere Teile des Gartens sind mit Kirschbäumen oder mit regelmäßig angeordneten Apfelbäumen bepflanzt. Zu den bekanntesten Teilen des Gartens zählt eine westlich vom Haus verlaufende, von Gleiditschien gebildete Allee. Dieser in Europa kaum bekannte Baum ist in Indiana heimisch. Die Allee bildet einen optischen Rahmen für den Ausblick auf die Weidelandschaft am Fluss. Später wurde sie zusätzlich mit einem Flachrelief von Jacques Lipchitz sowie mit einer Bronzeplastik von Henry Moore ausgestattet. Dabei handelt es sich um einen von sieben Güssen der „Draped Reclining Woman“ von 1957. Ein weiteres Exemplar der Serie befindet sich in der Münchner Pinakothek der Moderne.

Abgesehen von den beiden Kunstwerken, haben die Millers über die Jahre nur geringfügige Änderungen am Haus und an seiner Ausstattung vorgenommen, so dass es bis heute als Dokument seiner Zeit erhalten ist. Im Jahr 2000 wurde es als National Historic Landmark anerkannt. Nachdem mit Xenia Simons Miller im Jahr 2008 die letzte Bewohnerin verstorben war, schenkten die Erben die gesamte Anlage dem Indianapolis Museum of Art, das Garten und Haus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

Copyright: Miller House and Garden, Columbus, Indiana. Courtesy of Newfields. Miller House and Garden is owned and cared for by the Indianapolis Museum of Art at Newfields. Führungen des Miller House und Gartens können über das Columbus Area Visitors Center gebucht werden.

 

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