Fundstücke aus Chandigarh: Cassinas Hommage à Pierre Jeanneret

Die Unabhängigkeit Indiens vom British Empire und die damit verbundene Teilung des Landes sorgte im Bundesstaat Punjab in den 1950er Jahren für ein Problem: nur ein Teil der Region verblieb bei Indien, der Rest wurde Teil von Pakistan. Im pakistanischen Teil befindet sich mit Lahore auch die größte Stadt der Region, die zuvor Hauptstadt des vereinten Punjab war. Im bei Indien verbliebenen Teil gab es keine Stadt, die auch nur annähernd so groß war, dass sie die für eine Hauptstadt nötige Infrastruktur hätte bereitstellen können. So entschied man, in der Nähe des Dorfes Chandigarh eine neue Stadt zu errichten.

1952 wurde der Grundstein für die neue Hauptstadt gelegt, die den Namen des benachbarten Dorfes Chandigarh übernahm. Jawaharlal Nehru, der damalige indische Ministerpräsident, wünschte sich Le Corbusier als Planer für die neue Stadt. Der Architekt aus der Schweiz plante nicht nur die Struktur der Stadt, sondern entwarf gemeinsam mit seinen langjährigen Mitstreitern Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand auch zahlreiche der dortigen Gebäude sowie deren Ausstattung. So wurde Chandigarh zu Le Corbusiers umfangreichstem Werk überhaupt. Die UNESCO trug diesem Gesamtkunstwerk Rechnung, indem sie das Regierungsviertel von Chandigarh, den sogenannten Kapitol-Komplex, 2016 zum Welterbe erklärte. Chandigarh ist das wohl typischste Beispiel für eine Stadt entsprechend des funktionalistischen Städtebaus, wie Le Corbusier ihn vertrat. Der Kapitol-Komplex, der im wesentlichen die drei brutalistischen Regierungsgebäude Haute Cour, Secretariat und Assemblée umfasst, stellt sinnbildlich den Kopf des Stadtkörpers dar. Über ein rechtwinklig geordnetes System großer Straßen ist dieses Zentrum mit 50 sogenannten Sektoren verbunden, Stadtvierteln, die von Grünflächen durchsetzt sind und die Bedürfnisse des täglichen Bedarfs im Viertel selbst decken.

Die Fondation Le Corbusier widmet sich in Chandigarh der Erforschung und dem Erhalt des von Le Corbusier und seinen Kollegen geschaffenen Bestands. Cassina produziert bereits seit 1965 lizensierte Wiederauflagen von Möbeln nach Entwürfen von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand. Da Le Corbusier und Pierre Jeanneret  am Chandigarh-Projekt beteiligt waren, ist Cassina natürlich an der Erforschung der damaligen Entwurfsarbeit interessiert und beteiligt sich entsprechend an den Bemühungen der Fondation Le Corbusier. Nun legt Cassina vier Möbel nach Entwürfen von Pierre Jeanneret wieder auf, die für Chandigarh entstanden und die die europäische Moderne gekonnt mit traditionellen indischen Einflüssen verschmelzen.

Da ist zunächst der Capitol Office Chair, ein Stuhl, der in zahlreichen Büros des Secretariat-Gebäudes zum Einsatz kam. Das charakteristische Gestell des aus Holz gefertigten Stuhls ist geprägt von zwei seitlichen Elementen in Form des umgekehrten Buchstabens V. Diese Seitenelemente tragen nicht nur die Sitzfläche, sondern nehmen an ihrem oberen Endpunkt zusätzlich jeweils eine Armlehne auf. Das Profil der Armlehne verbreitert sich nach hinten, was dem Stuhl eine ausgeprägte Dynamik verleiht. An den hinteren Enden der Armlehnen ist die Rückenlehne befestigt, die sonst keinerlei Verbindung zum Stuhl aufweist. Sitzfläche und Rückenlehne sind mit Wiener Geflecht versehen, für die Sitzfläche ist außerdem ein optionales Kissen erhältlich. Ursprünglich wurde der Stuhl, wie auch die weiteren Möbel dieser Serie, aus dem in Indien natürlich vorkommenden Teakholz gefertigt. Die Wiederauflage ist zusätzlich auch in naturfarbenem oder schwarz gebeiztem Eichenholz erhältlich.

Ähnlich aufgebaut ist der Capitol Chair; er verzichtet jedoch auf Armlehnen und kommt insgesamt kompakter daher. Auch hier findet sich die umgekehrte V-Form wieder. Die entsprechenden Elemente fallen beim Capitol Chair etwas kleiner aus und bilden das Untergestell, dass sich hier bündig unter die Sitzfläche fügt. Die Rückenlehne schließt sich mit zwei Holzprofilen direkt an die Sitzfläche an. Wie sein großer Bruder, bezieht auch der Capitol Chair seine typische Anmutung aus dem Zusammenspiel harter Rechtwinkligkeit und dynamische-expressiver Elemente in spitzwinkligen Formen.

Der ursprünglich im Gerichtsgebäude verwendete Capitol Complex Armchair überträgt die Formensprache der bereits vorgestellten Sitzmöbel auf einen komfortablen Sessel. In seinem Aufbau entspricht der Sessel weitgehend dem Capitol Complex Office Chair, jedoch ist die Sitzfläche nach hinten geneigt, die Rückenlehne schließt sich unmittelbar an die Sitzfläche an und der Sessel ist großzügig und umfangreich gepolstert. Die in verschiedenen Ledern und Bezugstoffen erhältlichen Polster nehmen mit Sitzfläche, Rückenlehne und Armlehnen auch optisch große Teile des Sessels ein. Unverkleidet bleibt fast nur die umgekehrte V-Form der Seitenelemente, die wie ein Markenzeichen die gesamte Serie definiert.

Abgerundet wird die Hommage à Pierre Jeanneret vom Capitol Complex Table, einem Konferenztisch, der vielfach in den Bürogebäuden von Chandigarh eingesetzt wurde. Das markante Gestell des Tischs setzt sich aus zwei Seitenelementen zusammen, die mit drei Querstreben untereinander verbunden sind. Die Seitenelemente verwenden wiederum die charakteristische V-Form, und verbinden dabei jeweils ein umgekehrtes und ein aufrechtes V zu einem Seitenelement. Das Tischgestell ist wahlweise mit Tischplatten aus Holz oder aus Glas erhältlich, wobei letztere Option natürlich den freieren Blick auf das Gestell ermöglicht.

Insgesamt entwarf Pierre Jeanneret für Chandigarh Hunderte an Möbeln, die damals von lokalen Handwerkern in Indien produziert wurden und heute in Designauktionen Höchstpreise erzielen. Auch für Pierre Jeanneret wurde das Projekt „Chandigarh” ein Lebenswerk – über 15 Jahre begleitete er den Aufbau der Stadt. Dabei entwarf er nicht nur die Möblierung, sondern auch einzelne Gebäude und unterstützte Le Corbusier bei der gesamten Stadtplanung.

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