Original und Fälschung: Der Bertoia Chair

Ein Klassiker des amerikanischen Mid Century Designs ist der Stuhl 420 des italienisch-amerikanischen Künstlers Harry Bertoia, der seit den 1950er ohne Unterbrechnung von Knoll International gefertigt wird. Dieser Drahtgitterstuhl entstand in einer Serie von Sitzmöbeln, die Harry Bertoia auf Bitten von Florence Knoll um 1952 entwarf. Zu der Serie zählen neben dem Stuhl, der Diamond Chair 421 und 422 (in zwei Größen), der Hochlehner Bird Chair 423 sowie die Asymmetric Chaise. Fast alle Sitzmöbel sind dabei wahlweise ohne Sitzkissen, mit Sitzkissen und mit einer Vollpolsterung bei Knoll erhältlich. Das Sitzkissen selbst ist dabei auch ein Entwurf des Künstlers. Die Serie wurde so erfolgreich, dass Harry Bertoia sich durch die erzielten Tantieme auf seine Arbeit als Bildhauer konzentrieren konnte. Dabei arbeitete er weiter eng mit Knoll zusammen, er entwarf zwar keine Möbel mehr, aber Knoll nutzte seine Skulpturen immer wieder für die Showrooms und für die Inneneinrichtungen bei Knoll Projekten. Auch im damaligen deutschen Showroom in Murr bei Stuttgart fanden sich drei Bertoia Kunstwerke, deren Wert je eine sechsstellige Summe erreicht. Ein besonderes Novum im künstlerischen Werk bilden die ab dem Jahr 1960 von Harry Bertoia entwickelten Klangskulpturen, er wurde ein Vorreiter dieser Kunstrichtung. Diese „Sound Sculptures” erzeugen bei Bewegung spärische Klänge, Harry Bertoia erforschte so die Wirkung des Metalls und den Weg der Töne. Mit diesen Klangskulpturen nahm er eine Serie von elf Alben mit dem Titel „Sonambient“ auf, diese sind heute als Edition der Bertoia Foundation zu erwerben.  

Heute ist der Stuhl 420 eigentlich ausschließlich unter dem Namen „Bertoia Chair” bekannt. Denn der Entwurf des Künstlers war so erfolgreich, dass diese von ihm entwickelten Drahtgitterstühle fast schon umgangssprachlich so bezeichnet werden. Dabei muß erwähnt werden, dass Charles & Ray Eames schon 1951 ihre Wire Chairs entwarfen. An diesem Prozess war Harry Bertoia wohl beteidigt, da er vorher Mitarbeiter im Eames Office in Kalifornien und mit dem Ehepaar zuerst freundschaftlich eng verbunden (er entwarf sogar die Hochzeitsringe für die Eames). Als Harry Bertoia aber ein Mitentwurfsrecht einforderte, zerbrach die enge Freundschaft und man traf sich vor Gericht wieder. Dies war wohl ein Grund, warum der Künstler dann auf das Angebot von Florence Knoll einging und zurück an die Ostküste ging, wo ein Studio zum Experimentieren auf ihn wartete. Bertoia gelang es dort, eine vollkommen eigene Formensprache für seine Drahtgitterstühle zu entwickeln.

Die erste Generation der Bertoia Stühle hatte dann auch wie die Wire Chairs der Eames einen umlaufenden, doppelten Metalldraht. Diese führte schnell zu einer Auseinandersetzung der beiden Hersteller Knoll International und Herman Miller. Knoll musste die Produktion ändern und setzte nun einen einfachen Metalldraht ein. Diese frühen Varianten mit dem doppelten Metalldraht, die nach unseren Informationen nur in den USA damals verkauft wurden, sind recht selten.

Knoll Bertoia Produktion im 20. Jahrhundert: Woran erkennt man einen gefälschten Bertoia Stuhl?

Das großes Problem ist, dass die Bertoia Stühle früher bei Knoll nicht gelabelt wurden. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts erfolgte die Einprägung des Knoll-Signets am Untergestell (u.a. durch unsere Empfehlung). Hintergrund war, dass früher die Stühle kaum gefälscht wurden und Knoll es daher nicht notwendig hielt. Hinzu kam das technische Problem, dass das Logo nur als Papieraufkleber hätte angebracht werden können. Daher sind fast alle Stühle aus dem 20. Jahrhundert komplett ohne Knoll Logo, nur unter den Sitzkissen ist wohl ab den 1980er Jahren ein Knoll Signet zu finden.

Dazu kam die Tatsache, dass Knoll 1986 die Produktion änderte. Während vorher das Drahtgitter der Sitzfläche und das umlaufende Drahtgitter unterschiedliche Durchmesser hatten und so dem Bertoia Entwurf die gewünschte Transparenz in der Erscheinung gaben, erfolgte 1986 - wohl aus Rationalisierungsgründen - eine entscheidene Produktionsänderung: Denn seitdem haben alle Drahtgitter der Sitzschale den gleichen Durchmesser. Eine sehr gute Übersicht finden Interessierte hierzu auf der Internetseite der Bertoia Foundation: harrybertoia.org/the-harry-bertoia-foundation/id-bertoia-chairs/

Damit es noch komplizierter wird, unterscheiden sich die Knoll Bertoia Stühle teilweise von ihren Abmessungen. Diese Toleranzen entstanden dadurch, dass Knoll früher verschiedene Produktionsstätten hatte. Die technische Zeichnung des Bertoia Stuhls 420 wurde damals aus den USA angefertigt und postalisch an die jeweilige Produktionsstätte gesendet. Trotz der genauen Vorgaben aus den Vereinigten Staaten erfolgte dann die Produktion in den Knoll Werken in Deutschland und Belgien mit kleinen - wohl technisch bedingten - Abweichungen.

Bedingt durch diese drei Problematiken ist es für Laien recht schwer Originale aus der Zeit von Fälschungen zu unterscheiden. Denn bereits im 20. Jahrhundert wurde der erfolgreiche Stuhl schon reproduziert. Manchen Fälschungen (siehe unten) sieht man es sofort an, bei anderen Fakes ist dies erst auf dem zweiten Blick zu erkennen. Sinnvoll ist es daher immer, den Stuhl mit einem nachweislichen Original von Knoll zu vergleichen. Ein wichtiges Kriterium ist dabei die Art und Weise, wie Schale und Untergestell miteinander verbunden sind, bzw. welche Schrauben verwendet wurden.

Knoll Bertoia Produktion im 21. Jahrhundert: Mit Knoll-Logo als Signatur

Heute erfolgt die Herstellung der Bertoia Möbel von Knoll nur noch im Werk in Italien. Dabei wird zwar immer noch jeder Metalldraht einzeln angeschweisst, die Maße sind aber einheitlich. Wie bereits geschrieben, verfügen die Stühle und Sessel nun alle über ein eingeprägtes Knoll-Signet am Gestell. Dies gilt sowohl für die Varianten mit der Rilsan-Kunststoffbeschichtung  (schwarz und weiß) wie für die verchromten, bronzierten oder vergoldeten Versionen. Zusätzlich ist das Bertoia Sitzkissen unterseitig mit dem Knoll Signet versehen.

Unser Vergleich zwischen Original und Fälschung.

Für unseren Vergleich bestellten wir im Internet bei einem der Fake-Anbieter einen sogenannten „Bertoia Chair” für nur EURO 82,50 (zum Vergleich, das Original von Knoll kostet aktuell EURO 830,00). Die erste Überraschung erfolgte beim Auspacken der Lieferung: der Stuhl wurde nicht wie bestellt in schwarz geliefert - sondern verchromt. Auch befand sich in dem Karton der Stuhl in zwei Teilen, Gestell und Schale mussten erst selbst zusammengeschraubt werden, was durch das mitgelieferte Werkzeug aber recht einfach war. Allerdings wurden nicht die für den Entwurf richtigen Schrauben verwendet, die mitgelieferten Flachschrauben und Muttern wirken wie ein Fremdkörper.

Vergleich Bertoia Chair

Links die Fälschung, rechts das Original von Knoll International 

Nachdem der Fake-Stuhl fertig montiert war, folgte die zweite Überraschung: Die Proportionen von Schale und Gestell waren völlig anders als das Original von Knoll. Man kann nur von einer ganz schlechten Kopie des Designs sprechen. Es ist schon eine Frechheit, so etwas überhaupt als „Bertoia Stuhl” zu bezeichnen. Die Design-Unterschiede sind so groß, dass jeder Betrachter den Stuhl sofort als Fälschung erkennt. Der Stuhl ist wesentlich höher, die Schale völlig unförmig und das Untergestell ganz anders geformt. Hierzu kommen die übergroßen Kunststoffgleiter, die auch wie ein Fremdkörper wirken. Zusätzlich sieht man die einzelnen Schweißnähte unter der Verchromung, die das optische Bild weiter reduzieren.

Vergleich Schale der Bertoia Chairs

Die Darhtgitterschale des Originals von Harry Bertoia präsentiet sich in harmonischen Proportionen, im Gegensatz dazu der Fake-Chair rechts.

Mit anderen Worten: dieser Stuhl hat mit dem Original von Harry Bertoia nichts gemein, er ist nur plump und unförmig. Wir können daher nur raten, nicht nur aus moralischen Gründen die lizensierte Version von Knoll International zu erwerben.

Ein kleiner Exkurs zur rechtlichen Situation: Alle Entwürfe des Künstlers Harry Bertoia sind in Deutschland gesetzlich durch das Urheberrecht geschützt. Dieses Urheberrecht gilt bis 70 Jahre nach dem Tod des jeweiligen Künstlers (Harry Bertoia starb 1978 an Krebs, bedingt durch die Dämpfe, die bei der Herstellung seiner Metallskulpturen entstanden). Dies gilt sowohl für seine Skulpturen, Zeichnungen und die Möbelentwürfe. Nur Knoll International hat das alleinige Recht, diese Möbel zu produzieren und arbeitet dabei eng mit der Bertoia Familie zusammen. Auch wir haben in der Vergangenheit mit Harry Bertoias Kindern, Celia Bertoia und Van Bertoia häufig kommuniziert, wie exemplarisch bei der Realisierung unseres Kunstplakates ”100 Jahre Harry Bertoia” von Rosemarie Trockel. Hintergrund war, dass wir uns für dieses Plakat selbstverständlich das Einverständnis der Familie einholten.

Das Werk von Harry Bertoia wird in Deutschland auch durch die Verwertungsgesellschaft Bild+Kunst in Bonn vertreten. Hierbei muss für jede Publikation, wo ein Bertoia Objekt abgebildet wird, eine entsprechende Lizenz entrichtet werden. Die Höhe der Lizenz richtet sich nach Auflage, Größe, Verbreitung und Inhalt des Mediums. Ausgenommen sind dabei unsere Abbildungen der Möbel, wo die Reproduktiosnrechte durch die Herstellerlizenz von Knoll abgegolten sind.

Fälscher zahlen hingegen keine Lizenz an den Designer bzw. Künstler oder dessen Familie. Sie nutzen den rechtsfreien Raum im Internet und verkaufen die Nachbildungen aus Ländern, wo das Urheberrecht in der Form nicht greift.

Unseren gefälschten Bertoia Stuhl haben wir nach unserem Test übrigens zerstört. Denn ein Weiterverkauf innerhalb Deutschlands wäre ein Verstoß gegen das Urheberrecht, auch werden bei Markanto sowieso keine Fakes angeboten. Und eine Rücksendung zu dem Fake-Shop hätte wirtschaftlich keinen Sinn ergeben, da dort der Kunde den Rücktransport selbst zahlen muss.

 

 

 

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