Hochstapeln mit System: das Stapelgeschirr TC100 von Nick Roericht

Hans Albrecht Roericht, genannt Nick, wurde 1932 im schlesischen Schönkirch geboren, das sich heute in Polen befindet. Von 1955 bis 1959 studierte er an der Hochschule für Gestaltung Ulm. Während des Studiums absolvierte er ein Praktikum bei Rosenthal. Das Systemgeschirr TC100 entwarf der Produktdesigner als Diplomarbeit. Aufgrund seines bestehenden Kontakts zu Rosenthal stellte er seine Arbeit dort vor und Philipp Rosenthal beschloss, das Geschirr ins Programm aufzunehmen. Die Umsetzung des Entwurfs für die industrielle Fertigung erwies sich jedoch als schwierig und viele Mitarbeiter des Herstellers hielten sie gar für unmöglich. Der Rosenthal-Modelleur Hartmut Tuckermann war jedoch von der Möglichkeit überzeugt, den Entwurf industriell herzustellen und arbeitete gemeinsam mit Roericht intensiv an einer Lösung. 1962 konnte das Geschirr schließlich in Serienproduktion gefertigt werden und Rosenthal nahm es ins Programm seiner Zweitmarke Thomas auf. So erklärt sich auch die Bezeichnung: TC steht für „Thomas Compact“, die Zahl 100 wurde ohne konkrete Bedeutung ergänzt.
Kompaktheit war oberstes Gebot beim Entwurf des Geschirrs. Die verschiedenen Teile sollten sich platzsparend stapeln lassen, so dass sie auch in großer Zahl nur wenig Lagerraum einnehmen. Diese Eigenschaft macht das zur Ikone gewordene Stapelgeschirr noch heute zur ersten Wahl in Kantinen, Mensen und überall sonst, wo für viele Menschen gekocht wird. Um eine gute Stapelbarkeit zu erreichen, weisen Schalen, Tassen und Untertassen als oberen Abschluss einen senkrechten Rand auf. Beim Stapeln liegen die Ränder der einzelnen Geschirrteile gegenseitig aufeinander auf, die darunterliegenden Bereiche tauchen ineinander ein. Auf diese Weise ergeben sich stabile und kompakte Stapel. Anders als bei herkömmlichen Schalen und Tassen, deren Form sich meist aus der Kugel ableitet, sind die Tassenhenkel beim Stapeln nicht im Weg und ein Verschieben oder Neigen des Stapels in sich ist ausgeschlossen. Die gewonnene Stabilität erlaubt es, hohe Türme zu stapeln, die entsprechend viele Geschirrteile aufnehmen. Das jeweils unterste Element eines Stapels beansprucht noch seine volle Höhe als Lagerraum, wohingegen jedes weitere Teil nur mit der Höhe seines Randes zu Buche schlägt. Neben dieser praktischen Funktion, ist der Rand auch formalästhetisch prägend für das Erscheinungsbild der Geschirrserie. Die gleiche Handschrift setzt sich bei den flachen Tellern fort. Sie weisen zwar nicht die gleiche Art von Rand auf, da sie auch ohne diesen stabil und kompakt stapelbar sind, die klar vom Spiegel abgesetzte Fahne korrespondiert ästhetisch jedoch mit den Rändern der Tassen und Schalen.

Das neuartige Geschirr wurde zum sofortigen Erfolg. Die Gastronomie nahm es ohne Zögern massenhaft in Gebrauch, die Konkurrenz lieferte bereits ein halbes Jahr nach der Markteinführung die ersten Nachahmungen und das New Yorker Museum of Modern Art gliederte das Geschirr nicht nur in seine Designsammlung ein, sondern verwendete es auch in der hauseigenen Cafeteria. Als Rosenthal 2008 in Turbulenzen geriet, sicherte sich Nick Roericht die Produktionsrechte an seinem Entwurf, noch bevor Rosenthal in das Portfolio des italienischen Konzerns Sambonet eingegliedert wurde. In Kooperation mit dem auf Gastronomiebedarf spezialisierten Hersteller HoGaKa – der seinen Sitz übrigens in Ulm, also am Ort der HfG, hat – legte Roericht das Geschirr neu auf. Im Rahmen der Neuauflage, ergänzte Roericht einige neue Geschirrteile – wie etwa Pastateller – um den veränderten Essgewohnheiten gerecht zu werden. Dabei machte sich der systematische Aufbau des Geschirrs bezahlt. Den jeweiligen Anforderungen und dem bereits definierten System folgend, entwarfen sich die neuen Teile wie von selbst. Das Denken in Systemen war zentraler Bestandteil der funktional orientierten Designphilosophie der HfG Ulm. Jener Hochschule, die das bundesdeutsche Design der Nachkriegszeit wie keine zweite Institution prägte und die Vielen als legitime Nachfolgerin des Bauhauses gilt.

Nach seinem Diplom blieb Nick Roericht als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HfG; zunächst bei Georg Leowald, ab 1961 bei Otl Aicher. In den Jahren 1966 und 1967 lehrte er an der Ohio State University. Unter der Generalplanung von Otl Aicher war Roericht auch an den Entwurfsarbeiten für die Olympischen Spiele 1972 in München beteiligt. So entwarf er etwa Sitze für Günther Behnischs Olympiastadion und Möbel zur Ausstattung der Athletenunterkünfte im olympischen Dorf. Diese Möblierung war erneut Teil eines aufeinander abgestimmten Systems. Im Jahr 1967 gründete Roericht in Ulm sein Büro für Produktentwicklung, das zahlreiche Designaufgaben für Auftraggeber wie Loewe, Rodenstock oder Wilkhahn übernahm. Für die Lufthansa entstand 1971 ein umfangreiches Programm verschiedenster Objekte rund um die Flugreise. Unter anderem enthielt es ein Bordgeschirr – selbstverständlich stapelbar. Parallel dazu lehrte Roericht von 1973 bis 2002 als Professor an der Berliner Hochschule der Künste.

 

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