Die Brüder Bouroullec – Stars des zeitgenössichen Designs
Die zwei Brüder stammen aus Quimper in der Bretagne. Ronan studierte an der École nationale supérieure des arts décoratifs in Paris, während Erwan an der École des Beaux-Arts in Cergy ausgebildet wurde. 1999 gründeten sie ein gemeinsames Studio in Paris. Erste Aufmerksamkeit erregten sie mit dem Projekt „Disintegrated Kitchen“ (1997), das bereits zentrale Themen ihrer späteren Arbeit vorwegnahm. Ihre frühe Zusammenarbeit mit dem italienischen Hersteller Cappellini öffnete den Weg in die industrielle Designwelt. Ein bedeutender Wendepunkt ihrer Karriere war die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Möbelhersteller Vitra, die ab dem Jahr 2000 begann. Für Vitra entwarfen sie unter anderem das modulare System „Algue“ (2004), das aus verästelten Kunststoffelementen besteht und den Raum auf poetische Weise strukturieren kann. In der Folge entstanden zahlreiche weitere Arbeiten mit Unternehmen wie Magis, Flos, Kvadrat und Samsung, die ihr Portfolio in Richtung Textil, Beleuchtung und Elektronik erweiterten.

Nuage Regal von Ronan und Erwan Bouroullec im MoMa Museum of Modern Art, New York 2025
Die gestalterische Haltung der Bouroullecs vereint poetische Imagination mit funktionaler Klarheit. Ihre Entwürfe zeigen eine durchgehende Auseinandersetzung mit Modularität und Wandelbarkeit. So lassen sich viele ihrer Möbel – etwa das Sofasystem „Alcove“ oder die für moderne Arbeitsumgebungen entwickelten „Workbays“ – flexibel konfigurieren und an veränderte Bedürfnisse anpassen. Die Brüder legen großen Wert auf das Zusammenspiel von Materialität und Produktionstechnik. Sie arbeiten sowohl mit traditionellen als auch mit innovativen Fertigungsmethoden und entwickeln daraus Produkte, die technisch präzise und zugleich sinnlich erfahrbar sind. Trotz ihrer funktionalen Ausrichtung sind die Objekte der Bouroullecs niemals rein utilitaristisch. Durch organische Formen, eine zurückhaltende, aber fein abgestimmte Farbwahl und ein minimalistisches Detailverständnis erzeugen ihre Entwürfe eine stille Poesie, die den Alltag ästhetisch durchdringt. Charakteristisch ist außerdem ihr Interesse an der Schnittstelle von Objekt und Raum. Projekte wie „Clouds“ (für Kvadrat) oder großformatige Rauminstallationen in Museen zeigen, wie sehr die Brüder Design als Mittel der Raumbildung verstehen – jenseits klassischer Produktgrenzen.
Ronan und Erwan Bouroullec gelten heute als Vertreter eines „New Simplicity“-Ansatzes, der auf Reduktion und Klarheit zielt, ohne in funktionalistischen Dogmatismus zu verfallen. Kritiker und Designwissenschaftler loben ihre Fähigkeit, industrielle Serienprodukte mit Emotionalität und Menschlichkeit aufzuladen. Ihre Arbeiten sind in renommierten Sammlungen vertreten, unter anderem im Museum of Modern Art in New York, im Centre Pompidou in Paris sowie im Victoria and Albert Museum in London. Darüber hinaus leisten die Brüder einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung neuer Arbeits- und Lebenswelten. Mit ihren Möbeln und Raumlösungen reagieren sie auf gesellschaftliche Veränderungen wie zunehmende Mobilität, Individualisierung und den Wandel der Arbeitskultur. Ihre Entwürfe bieten nicht nur funktionale Antworten, sondern schaffen Atmosphären, die zum Rückzug, zur Kommunikation oder zur kreativen Nutzung einladen – und damit einen Gegenpol zur Reizüberflutung vieler heutiger Umgebungen darstellen.
Der Künstler Ronan Bouroullec
Neben seiner Rolle als Designer ist Ronan Bouroullec auch als bildender Künstler aktiv. Diese weniger bekannte Seite seiner Arbeit erlaubt einen tieferen Einblick in seine persönliche Bildsprache und seine Auseinandersetzung mit Form, Linie und Atmosphäre jenseits funktionaler Anforderungen. Seine künstlerischen Arbeiten umfassen Zeichnungen, Collagen, Radierungen sowie skulpturale Objekte, die oft in direktem Zusammenhang zu seinem gestalterischen Werk stehen – jedoch zugleich eine ganz eigene ästhetische Autonomie besitzen. Seine Zeichnungen vsind vielfach abstrakt und rhythmisch organisiert. Sie entstehen häufig als tägliche Praxis, unabhängig von konkreten Designprojekten. In Interviews betont er, dass das Zeichnen für ihn ein Mittel des Denkens und der Selbstbeobachtung sei – ein Raum, in dem sich Intuition und Materialität begegnen. Die zeichnerische Linie wird dabei nicht als Mittel zur Darstellung, sondern als eigenständiger Ausdrucksträger verstanden. Seine Werke erinnern teilweise an meditative Notationen, organische Strukturen oder fragmentierte Landschaften.
In seinen Ausstellungen – beispielsweise in der Galerie kreo in Paris oder im Vitra Design Museum – wird deutlich, wie stark Ronan Bouroullec künstlerisches Schaffen als experimentellen Gegenpol zur oft durch industrielle Anforderungen geprägten Designpraxis begreift. Während im Produktdesign Aspekte wie Funktion, Ergonomie und Produktionsökonomie eine zentrale Rolle spielen, erlaubt die Kunst einen freieren Umgang mit Material, Komposition und Bedeutung. Dennoch existieren zahlreiche Berührungspunkte: Viele seiner künstlerischen Arbeiten lassen sich als ästhetische Forschungsräume begreifen, in denen gestalterische Ideen erprobt und atmosphärische Qualitäten ausgelotet werden, die später in Produkte oder Architekturen einfließen. Besonders bemerkenswert ist der Umgang mit Farbe und Textur in seinen grafischen Arbeiten. Anders als im Design, wo Farben oft unter systemischen Gesichtspunkten eingesetzt werden, erscheinen sie in seinen Zeichnungen intuitiv, fast malerisch. Auch hier zeigt sich die Spannung zwischen Kontrolle und Zufall, zwischen Systematik und Offenheit – ein Spannungsfeld, das sowohl sein künstlerisches wie auch sein gestalterisches Schaffen durchzieht.
Ronan Bouroullec als Künstler zu betrachten, bedeutet also, ihn nicht nur als Problemlöser im Sinne des Designs zu verstehen, sondern als sensiblen Beobachter visueller und räumlicher Phänomene, der mit verschiedenen Medien experimentiert. Seine Kunst ist kein bloßes Nebenprodukt seiner Designpraxis, sondern ein eigenständiger Ausdruck seiner ästhetischen Welt, in der sich Fragilität, Struktur und Poesie in feiner Balance begegnen.

Künstlerische Arbeit von Ronan Bouroullec, Vitra Design Museum