Ettore Sottsass: Von Olivetti zu Memphis
Ein zentrales Kapitel im Leben von Ettore Sottsss war seine langjährige Zusammenarbeit mit dem italienischen Technologiekonzern Olivetti. Für das Unternehmen entwarf Sottsass ikonische Produkte wie die Reiseschreibmaschine "Valentine", die 1969 erschien und nicht nur wegen ihres knallroten Gehäuses, sondern auch durch ihre Popkultur-Ästhetik weltweite Bekanntheit erlangte. Schon damals zeigte sich seine Überzeugung, dass Design weit mehr sein könne als reine Funktionalität – es müsse eine emotionale Dimension besitzen, Geschichten erzählen und das Leben bereichern. In den 1950er- und 1960er Jahren arbeitete Ettore Sottsass auch intensiv mit dem Keramikhersteller Bitossi zusammen. Diese Kooperation markierte den Beginn seiner Beschäftigung mit der Keramik als Medium künstlerischen Ausdrucks. Für Bitossi entwarf er zahlreiche Vasen und Skulpturen, die durch kräftige Farben, geometrische Formen und kulturelle Referenzen – etwa an altorientalische oder mesopotamische Artefakte – auffallen. Die Zusammenarbeit mit Bitossi war nicht nur experimentell, sondern stellte auch eine frühe Manifestation seines postmodernen Denkens dar. Viele seiner Keramiken dieser Zeit gelten heute als Designklassiker und sind in internationalen Sammlungen vertreten.
Ein weiterer Meilenstein war sein Wirken für das Unternehmen Poltronova. Als Art Director der Firma ab Mitte der 1960er Jahre verwandelte er Poltronova in eine der progressivsten Plattformen für avantgardistisches Möbeldesign in Italien. Sottsass holte junge Talente wie Archizoom, Superstudio und andere Vertreter des Radical Design zur Marke und schuf selbst visionäre Möbelstücke, darunter sein bekanntes Daybed „Superbox“ oder das modulare Möbelsystem „Mobili Grigi“. Poltronova wurde unter seiner Führung zu einem Labor für ästhetische Forschung, in dem mit Materialien, Bedeutungen und räumlichen Erfahrungen experimentiert wurde.

Installation von Ettore Sottsass für Poltronova mit dem ikonischen Ultrafragola-Spiegel, um 1970
Den größten internationalen Durchbruch als kulturelle Ikone erlebte Ettore Sottsass 1981 mit der Gründung der Memphis-Gruppe in Mailand. Gemeinsam mit jungen Designer:innen wie Michele De Lucchi, Nathalie Du Pasquier, George Sowden und Barbara Radice entwickelte er ein radikal neues Designverständnis, das sich offen gegen die funktionale Strenge der Moderne stellte. Memphis war ein Manifest für Farbe, Ironie und emotionale Präsenz. Statt minimalistischer Reduktion trat eine überbordende Ornamentik. Statt rationaler Klarheit eine expressive Bildsprache. Berühmte Entwürfe aus dieser Phase wie das "Carlton-Regal" oder die "Tahiti"-Lampe wurden zu postmodernen Ikonen. Sottsass betrachtete seine Arbeit stets als Teil eines größeren kulturellen Zusammenhangs. Er reiste viel, unter anderem nach Indien, Nepal und in den Iran, und ließ sich von spirituellen und kulturellen Traditionen inspirieren. Seine Entwürfe sind nicht selten durchzogen von einem meditativen, fast mystischen Charakter. Er war davon überzeugt, dass Design nicht nur nützlich sein, sondern auch sinnlich, emotional und poetisch sein müsse. In einem seiner bekanntesten Zitate sagte er: „Design beginnt dort, wo Rationalität endet.“
Neben seinen produktbasierten Arbeiten war Sottsass auch ein bedeutender Architekt. Mit dem 1980 gegründeten Studio Sottsass Associati realisierte er Architekturprojekte, Ausstellungen, Shops und Innenräume für internationale Kunden. Dabei arbeitete er mit namhaften Marken wie Alessi, Knoll, Apple, Artemide und Philips zusammen. Auch in der Fotografie, Malerei und im Schreiben war er aktiv. Seine Texte über Design sind bis heute scharfsinnig, poetisch und provokant.
Bis zu seinem Tod im Jahr 2007 blieb Sottsass eine zentrale Figur im Diskurs über Gestaltung. Er stellte die Grundannahmen des modernen Designs infrage und plädierte für ein Design, das die Komplexität menschlicher Erfahrung reflektiert. Sein Einfluss ist bis heute spürbar. Das Memphis-Design erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance – nicht nur in Sammlungen und Museen, sondern auch in der Mode, der Innenarchitektur und der digitalen Gestaltung. Marken wie Supreme, Missoni oder Gucci greifen die Memphis-Ästhetik auf, während Ausstellungen über Sottsass weltweit gezeigt werden – etwa im Vitra Design Museum, im MoMA New York oder in der Triennale Milano. Ettore Sottsass war nie nur ein Designer. Er war ein Denker, ein Reisender, ein Poet des Objekts. Er entwarf keine bloßen Gebrauchsgegenstände, sondern gestaltete Kulturobjekte – zwischen Ernst und Ironie, Spiritualität und Pop, Form und Emotion. Sein Vermächtnis ist eine Einladung, die Welt nicht nur zu ordnen, sondern auch zu verzaubern.

Ettore Sottsass mit einer goldenen Shiva-Vase, hergestellt von bd barcelona.